Der fundamentale Attributionsfehler – und was er mit Prozessverbesserung und Führung zu tun hat
„Wir beurteilen uns selbst nach unseren Absichten und andere nach ihrem Verhalten.“
Warum der fundamentale Attributionsfehler nicht nur Führungskräften immer wieder in die Quere kommt
In Veränderungsprojekten oder Prozessoptimierungen passiert es immer wieder: Ein Prozess funktioniert nicht wie gewünscht – und sofort richtet sich der Blick auf die Menschen. „Die Mitarbeitenden geben sich nicht genug Mühe“, „Sie schulen sich nicht ausreichend selbst“ oder „Sie setzen es nicht richtig um.“ Solche Aussagen hören wir häufig.
Hinter dieser vorschnellen Zuschreibung steckt ein tief verankertes psychologisches Muster: der fundamentale Attributionsfehler. Er beschreibt unsere Tendenz, Verhalten anderer auf deren Eigenschaften oder Einstellungen zurückzuführen, während wir die Einflüsse der Situation oder der Rahmenbedingungen unterschätzen.
Kurz gesagt: Wir suchen die Ursache bei den Menschen, obwohl das System oder der Prozess der eigentliche Auslöser ist.
Ein Praxisbeispiel aus einem Workshop: Wenn der Fehler nicht bei den Menschen liegt
In einem Workshop zur Verbesserung eines nicht funktionierenden Prozesses schildern verschiedene Führungskräfte bei der Suche nach Ursachen ihre Einschätzung: Der Prozess bringe nicht die gewünschten Ergebnisse, weil sich die Mitarbeitenden offenbar nicht ausreichend selbst schulen und deshalb nicht kompetent genug seien, ihn korrekt umzusetzen.
Diese Erklärung klingt zunächst plausibel – bis wir genauer hinsehen.
Bei der Analyse stellte sich heraus, dass der wahre Grund ein ganz anderer ist: Nach einer Prozessänderung wird der neue Ablauf nie auf seine Praxistauglichkeit geprüft. Nahtstellen funktionierten nicht, Abläufe sind unklar beschrieben, wichtige Informationen fehlen und technische Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Mitarbeitenden sind also keineswegs unmotiviert oder unwillig – sie können unter diesen Umständen schlicht nicht erfolgreich sein.
Führung heisst: zuerst auf das System schauen
Dieses Beispiel zeigt deutlich: Der fundamentale Attributionsfehler kann uns im Führungsalltag gefährlich in die Irre führen. Wenn wir vorschnell die Ursache im Verhalten der Mitarbeitenden suchen, übersehen wir oft die eigentlichen Stellschrauben im System.
Wirksame Führung bedeutet deshalb nicht, Schuldige zu finden, sondern Rahmenbedingungen zu gestalten, in denen Menschen erfolgreich sein können. Erst wenn Prozesse klar definiert, realistisch umsetzbar und geprüft sind, lohnt sich ein Blick auf individuelle Faktoren wie Motivation oder Kompetenzen.
Vom Prozess zur Suche: Was Rettungshunde uns über Führung lehren
Genau dieses Prinzip findet sich auch im „Modell Rettungshund“ wieder. Ein Rettungshund kann seine Aufgabe in einer Suche nur dann optimal erfüllen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen: Er braucht eine gute Ausbildung, umsichtige Führung und eine funktionierende Kommunikation mit der Hundeführerin. Scheitert ein Such-Team, liegt die Ursache selten daran, dass der Hund „nicht will“. Viel häufiger sind strukturelle Probleme im Zusammenspiel zwischen Führung, Training und Umgebung verantwortlich. Unerfahrene Hundeführer suchen die Ursache für das Scheitern bei ihren Hunden, Erfahrene schaffen ein Umfeld in dem ihr Hund erfolgreich sein kann.
Genauso verhält es sich in Organisationen: Mitarbeitende können ihre Leistung nur dann entfalten, wenn Prozesse durchdacht, Schnittstellen sauber definiert und Hindernisse aus dem Weg geräumt sind. Gute Führung erkennt das – und prüft zuerst das System, bevor sie Verhalten bewertet.
Fazit: Menschen sind selten das Problem – das Umfeld schon eher
Der fundamentale Attributionsfehler ist menschlich – aber gefährlich, wenn wir ihn nicht erkennen. Wer ihn kennt und bewusst vermeidet, schafft die Grundlage für echte Prozessverbesserungen und wirksame Führung. Denn Leadership bedeutet nicht, Menschen zu reparieren – sondern Rahmenbedingungen zu gestalten, in denen sie erfolgreich sein können.
Praxis-Tipp: Wenn ein Prozess nicht funktioniert, stelle dir zuerst diese Fragen:
Sind Abläufe klar definiert und logisch aufgebaut?
Wurden Änderungen auf ihre Praxistauglichkeit getestet?
Haben Mitarbeitende in den bestehenden Strukturen überhaupt die Möglichkeit, erfolgreich zu sein?
Windentraining der Schweizer Armee, Hundeführer Beat Akermann mit seiner Hündin Bounty