Vom Rettungshund zum Leadership-Haus – Wie wir Führung neu denken
„Wer aufhört zu lernen, hört auf zu führen.“
Führung ist ein Entwicklungsprozess, kein starrer Zustand. Diese Erkenntnis verdanken wir unter anderem einem außergewöhnlichen Lehrer: dem Rettungshund. Die Arbeit mit Rettungshunden zwingt uns zu einer ehrlichen Selbstreflexion, denn diese Tiere reagieren direkt, ungefiltert und unbestechlich auf die Qualität unserer Führung. Ihr Verhalten ist wie ein Spiegel – jede Unsicherheit, jedes Übermaß an Kontrolle, aber auch jedes authentische, vertrauensvolle Handeln wird sofort im Verhalten sichtbar. Wir lernen sehr schnell was funktioniert und was eben nicht funktioniert.
Aus diesen Erfahrungen ist das „Modell Rettungshund“ entstanden. Es zeigt, dass Leadership weit mehr ist als das Erlernen von Handwerk oder Tools. Es geht zum Beispiel um die Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle, um das Loslassen zur richtigen Zeit, um Präsenz ohne permanente Dominanz. Und es geht darum, das volle Potenzial anderer – ob Mensch oder Tier – zu entfalten, statt es durch falsche Führung zu blockieren. Und vor allem zeigt das Modell auf, dass die Art der Verhaltenssteuerung abhängig vom Individuum ist und keinen generellen Gesetzen folgt. Erfolgreiche Verhaltenssteuerung setzt also eine intakte Beziehung voraus.
Wie das Leadership-Haus funktioniert
Das Leadership-Haus ist aus den Erfahrungen des Rettungshundemodells entstanden und beschreibt die wesentlichen Steuergrößen wirksamer Führung. Sein Fundament bilden Selbstreflexion und Selbstwert – die Basis für jede wirksame und sich optimierende Führungspersönlichkeit. Wer sich seiner eigenen Stärken und Schwächen bewusst ist und den eigenen Wert kennt, kann klarer führen, Kritik annehmen und sich weiterentwickeln. Dieses Bewusstsein macht die wichtige Selbstreflexion erst möglich und stellt sicher, dass diese auch in einem gesunden Bereich erfolgen kann. Ohne dieses stabiles Fundament fehlt die innere Balance zwischen Wirksamkeit und persönlicher Weiterentwicklung.
Auf diesem Fundament ruht das Herzstück des Hauses: die vier Zimmer der Balance. Sie stehen für die Dimensionen Fachkompetenz, Intuition, Bindung und Autonomie, die im Gleichgewicht zueinander stehen müssen, um möglichst wirksam zu führen und so das maximale Potential bei einem Individuum freizusetzen. Um die wirkliche Herausforderung für Führungskräfte aufzuzeigen soll hier erwähnt werden, dass dieses Gleichgewicht nicht für jedes geführte Individuum identisch ist.
Fachkompetenz sorgt für Klarheit und Glaubwürdigkeit. Nur wer sein Wissen kontinuierlich ausbaut und sicher in der Sache ist, kann Orientierung geben und Vertrauen schaffen. Hier geht es um Fachkompetenz im Bereich Führung und nicht um die klassische firmenspezifische fachlichen Kompetenzen. Eine Führung soll Fachbegriffe wie zum Beispiel klassische, operante und emotionale Konditionierung kennen und im Firmenumfeld gezielt anwenden können und über neuropsychologisches Grundlagenwissen verfügen. Wieso soll man das nur von Hundeführern erwarten und nicht auch von Führungskräften, Eltern und Projektleitern?
Intuition ergänzt das Wissen um ein feines Gespür für Situationen. Sie ist das Ergebnis von Erfahrung und Reflexion und ermöglicht es, Entscheidungen auch in komplexen oder unklaren Situationen und unter Zeitdruck zu treffen. Die Qualität intuitiver Entscheidung ist also abhängig von der Fachkompetenz. Gute Intuition ist ein Ergebnis von einem fortwährenden Lernprozess. Unsere kognitive Datenverarbeitung ist zu langsam und kann deshalb nicht auf alle relevanten Informationen zugreifen. Deshalb erfolgt dieser Prozess unterbewusst. Dies erlaubt eine kompetente Entscheidung auch unter Zeitdruck. Intuitives Verhalten ist immer authentisch und legt die Grundlage für Vertrauen.
Bindung schafft Vertrauen, Sicherheit und Explorationsfreude. In der Führung bedeutet dies: Ein Teammitglied entfaltet nur dann sein volles Potenzial, wenn es sich in der Beziehung zu seiner Führungskraft sicher und wertgeschätzt fühlt. Dabei ist es entscheidend, die Antreiber und Motive jedes Individuums zu kennen. Manche Menschen brauchen Nähe und Anerkennung, andere Autonomie oder Herausforderungen, um ihr Bestes zu geben. Eine Führungskraft, die diese Motive erkennt und berücksichtigt, schafft eine Bindung, die nicht auf Abhängigkeit, sondern auf Vertrauen und Respekt basiert.
Autonomie Autonomie ist der Schlüssel zur Potenzial- und Effektivitätsmaximierung. Je mehr Freiraum ein Individuum hat, eigenständig Entscheidungen zu treffen, desto stärker wird selbststartendes, proaktives und beharrliches Verhalten gefördert. Autonomie bedeutet nicht Führungslosigkeit, sondern das bewusste Setzen klarer Rahmenbedingungen, innerhalb derer Kreativität und Eigenverantwortung gedeihen können.
Eine zentrale Voraussetzung für funktionierende Autonomie ist psychologische Sicherheit – das Vertrauen, dass Fehler als Lernchancen gesehen werden und Kritik ohne Angst vor negativen Konsequenzen geäußert werden darf. Nur in einem solchen Umfeld trauen sich Menschen, Verantwortung zu übernehmen, Risiken einzugehen und neue Wege zu gehen. Führung bedeutet daher, Bedingungen zu schaffen, in denen Autonomie nicht nur erlaubt, sondern aktiv gestärkt wird.
Über diesen Räumen spannt sich das Dach der Energie. Es steht für die Motivationstheorie und die Fähigkeit von Führungspersonen, ein Umfeld zu schaffen, in dem Motivation nicht blockiert, sondern gefördert wird. Dabei ist entscheidend, Demotivation zu vermeiden, etwa durch fehlende Wertschätzung oder übermäßige Kontrolle, und stattdessen Freiräume und Sinn zu bieten. Führungskräfte, die die Motive ihrer Mitarbeitenden verstehen und stärken (z. B. Leistungsmotive, Anschlussmotive, Einflussmotive), bauen ein Dach, das Energie bündelt und das gesamte Haus stabil hält.
Die Wände der Sicherheit aus Beharrlichkeit und Autorität dem Leadership-Haus seine Stabilität und Richtung. Sie stehen für Prinzipien, Richtlinien und Regeln, die sowohl Orientierung als auch Sicherheit bieten und Fairness sicherstellen – ein zentrales menschliches Grundbedürfnis. Beharrlichkeit, verstanden als Teil der modernen Autorität, bedeutet, konsequent für Werte und Vereinbarungen einzustehen, ohne autoritär zu sein. Diese Wände schützen und strukturieren, ohne zu erdrücken.
Das Leadership-Haus zeigt damit, dass wirksame Führung keine einseitige Maßnahme ist, sondern immer die Balance zwischen diesen Hausteilen erfordert. Ein Übergewicht in einem Bereich – etwa zu viel Bindung statt Autonomie oder zu viel Intuition ohne Fachkompetenz – führt zu Instabilität. Ziel ist es, alle Elemente so auszutarieren, dass Führung menschlich, klar und nachhaltig wird. Aufgrund dieser grossen Komplexität und der hohen Individualität der Führungstätigkeit ist die Führungsentwicklung nicht ein Projekt, sondern ein Lebenswerk.